Die Frage nach dem Sinn im Hundetraining






Jüngst hatte ich einen kräftigen, bildschönen Schäferhund im Training, der knapp ein Jahr alt war, seit dem Welpenkurs aber keine Hundeschule von innen gesehen hatte. Seine Besitzer hingen an der Leine hinten dran, der Rüde riss sein Maul weit auf und drohte jedem Vierbeiner. Alleine der Gang auf den Ausbildungsplatz glich einem Spießrutenlauf. Von mir wollte man wissen, ob das Training „sinnvoll“ wäre. Nun, meine Antwort war eindeutig: Es gibt gar keine Alternative! Oder wollt ihr für ewige Zeiten mit einem pöbelnden Hund mit 40 Kilo unterwegs sein, der sich bei Hundekontakt aufführt wie ein Berserker?

Am Trainingsplatz ließ ich alle Teilnehmer in einem großen Kreis Aufstellung nehmen und schenkte dem eindrucksvollen Getue des Schäfers erst keine Beachtung. Seine Besitzer hatten zwar Leckerlis dabei, die ignorierte der Hund aber geflissentlich, vielmehr schoss er sich auf die anderen potenten Jungrüden im Kurs ein, fixierte sie und wollte stänkern. Ich bemühte mich um absolute Ruhe, ließ reihum Gehorsamkeitsübungen machen und durch den großen Abstand zueinander legte sich die anfängliche Aufregung langsam. 

Ich ging noch einen Schritt weiter, ignorierte das Imponiergehabe des großrahmigen Schäfers und ließ meine bereits versierteren Kursteilnehmer große Schlangenlinien durch die Gruppe gehen. Es schien, als legte sich die größte Aufregung beim Schäfer allmählich, denn auch er hatte zu arbeiten. Wir übten ein Schau-Kommando, das ich immer als Grundstein einer soliden Ausbildung betrachte, denn wenn mich mein Hund anschaut und sich an mir orientiert, kann er keine anderen Hunde anpöbeln. Ich ließ die Übung im Sitzen und im Liegen machen, ließ die Gruppe durch Pylonen Slalom gehen und schaffte es so, die Teilnehmer in Ruhe und Ordnung zum Arbeiten zu bringen.

Dann nahm ich Kontakt zu dem aufmerksamen Schäferrüden auf. In solchen Fällen hole ich immer einen ökologisch gegerbten Fellstreifen aus meiner Tasche, denn meist ist Fell so spannend, dass der Hund alles andere vergisst. Und dann, ja, dann habe ich noch einen Trumpf in der Tasche. Die Tube mit der Leberwurst sorgte in Windeseile dafür, dass der Schäfer ein aufmerksames Sitz, ein Platz, eine Grundstellung zeigte …

Die Gruppe konnte in Ruhe bis zur Pause arbeiten und meine Leberwursttube schenkte ich den Besitzern. In der Pause selbst redeten wir noch kurz über Möglichkeiten des Trainings und Fortschritte. Ja, ich bin sogar der Meinung, dass die jungen Besitzer ein wenig erstaunt über das eigentlich fantastische Ergebnis unserer ersten Trainingseinheit waren, denn plötzlich hieß es fast entschuldigend „Es ist ja unser erster Hund …“ 

Und dann kam wieder die Frage, ob weiteres Training Sinn mache! Ich bin davon überzeugt, dass es IMMER Sinn macht, einen großen, kräftigen Junghund auszubilden, denn tut man es nicht, steht man spätestens zwei Jahre später ebenso in der Hundeschule, wenn sich verschiedene unangenehme Verhaltensweisen bereits verfestigt haben. Ich kann gar nicht verstehen, wieso man sich mit einem Hund, der bereits so auffällig auf fremde Hunde reagiert, die Frage nach dem Sinn stellt! Aber ich freue mich auf weitere Trainingseinheiten mit dem gescheiten Schäfer, der einzig und allein nach Verhaltensrichtlinien sucht – und wenn man mich lässt – sprich: das Training fortsetzt – werde ich mein Möglichstes tun, um einen freundlichen, führigen Hund aus dem derzeit wilden Rabauken herauszuarbeiten.

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